Sieben Tage in Tibet – oder: Chinas autonome Republik (Reisebericht)

Nach Hongkong, Chinas Südwesten (Guilin, Longsheng, Longji, Yangshuo mit Fluss Li) und Shanghai mit Abstecher nach Suzhou, freuten wir uns ganz besonders auf den vierten Teil unseres Ausfluges ins „Reich der Mitte“, nämlich auf Tibet! (Mit „wir“ meine ich unsere handliche Reisegruppe, die exakt aus zwei Personen bestand, also aus meiner besseren Ehehälfte und mir.) In jungen Jahren hatten wir uns schon viel mit dem „Land des Schnees“ beschäftigt und natürlich hatten wir seinerzeit auch das Buch sowie den Film von Heinrich Harrer „Sieben Jahre in Tibet“ regelrecht verschlungen. Aber keiner von uns beiden hätte damals gedacht, dass es uns einmal möglich sein würde, das Dach der Welt mit seinen vielen Bergriesen, Göttern, Dämonen und Gebetsfahnen jemals im Leben zu betreten! Aber Dank FEEL CHINA war es nun doch realisierbar!Als Tibet 1950 von China, das von 1722 bis 1912 schon einmal die Oberherrschaft hatte, wieder vereinnahmt wurde, waren wir beide quasi trocken und windelfrei bzw. hatten das Ende des 2. Weltkrieges heil überstanden. Nach dem Aufstand der Tibeter gegen diese Art der „chinesischen Befreiung“ floh 1959 der 14. Dalai Lama ins Exil. Und nun, 50 Jahre danach, kam er immer noch nicht zurück! Aber dafür  kamen wir beide!!!  Wir hatten trotz der vielen Sicherheitsvorkehrungen anlässlich der am 1.10.2009 anstehenden 60-Jahre-Feier der Volksrepublik China unser Tibet-Permit für die Einreise doch noch in Shanghai erhalten und deshalb an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an FEEL CHINA mit diesem kleinen Tagesbericht!

TAG 1

Am Sonntag, 13. September, um 5.15 Uhr brachen wir in Shanghai auf zum Flug um 8.10 Uhr nach Xi’an und Weiterflug um 12.40 Uhr nach Lhasa. Aber nicht nur das von unseren Freunden bestellte Taxi zum Airport in Pudong hatte Verspätung, sondern auch der Flug Nr. 2335 mit China Eastern. So hatten wir über 2 Stunden Zeit, sämtliche Teestuben am Flughafen gemeinsam mit unseren mitgebrachten Brötchen nebst unseren dürftigen Chinesisch-Kenntnissen zu testen, denn wir konnten plötzlich nur noch die Ziffern lesen! Beim Umstieg in Xi’an wurden wir von heftigem Regen empfangen. An Bord waren fast nur Chinesen und es gab noch viele freie Plätze. So bekamen wir die Möglichkeit, dass wir beide einen Fensterplatz einnehmen konnten, einen links, einen rechts. Aber der Regen und später ein dichter Wolkenhimmel erschwerten den Ausblick und damit auch das Fotografieren. Als aber kurz vor unserem Ziel doch noch der Himmel plötzlich aufriss und der fantastische Ausblick auf die tibetische Bergwelt fast alle Passagiere beinahe aus den Sitzen gerissen hätte, entlohnte uns der Pilot mit einer extra großen Anflugschleife. Und da lagen sie unter uns die Majestäten der Achttausender, die höchsten Berge der Welt! Dafür hätte ich den Piloten küssen können! Aber dazu hatte ich keine Möglichkeit, denn 1. musste ich sitzen bleiben, und 2. musste ich blitzschnell reagieren und Bilder schießen! Ausgerechnet ich, die nur gelegentlich mal zur Kamera greift und kleine Blumen im Zeitlupentempo fotografiert! Aber diesen traumhaften Ausblick gab es nur jetzt und nur auf der rechten Seite! Mein Starfotograf, meine bessere Hälfte, saß falsch! Ich presste meine Kleinbildkamera an das Fenster und schoss wild drauf los… und da ich nun schon mal dabei war und den Auslöseknopf gefunden hatte, fotografierte ich auch den Landeanflug.

Nach mehreren Kontrollen kamen wir gegen 17.30 Uhr dann an in der „Heiligen Stadt“ der Tibeter. Neben einem weißen Kata (Friedens-/Freundschaftsschal), welcher uns von unserem neuen Guide nebst Fahrer beim Empfang um den Hals gelegt worden war, begrüßten uns ein strahlend blauer Himmel mit heiteren Schäfchenwölkchen, ein ruhig dahin fließender Tsangpo, gemütlich auf der Straße trottende Kühe und letztendlich ein großes Zimmer im JIN GUI Hotel. Im Banne der vielen neuen Eindrücke, die auf uns einstürmten, verdrängten wir den eigenartigen Geruch, der uns schon seit der Fahrt in unserem Auto begleitete und uns bis auf das Hotelzimmer zu verfolgen schien. Da die Stromzufuhr in unserem Zimmer nicht richtig funktionierte, also die Klimaanlage nicht arbeitete und auch das Licht aus blieb, bemühte sich unser Guide um ein anderes Zimmer. Und siehe da, beim Umzug stellten wir fest, unser großes Reisegepäck ist ja an der Oberfläche nass! Und nicht Tibet bzw. die ganze Stadt Lhasa stinkt erbärmlich nach Fisch sondern unser Gepäck! (Bei logischem Nachdenken, wäre dies ohnehin nicht möglich gewesen, denn Tibeter essen keinen Fisch!) Zum Glück war das Badezimmer so groß, dass wir die stinkende Fracht für’s erste dort schnell deponieren konnten. Dann mussten wir schnellstens zum Abendessen geleitet werden, denn der Zeitplan ließ keine weiteren Verzögerungen mehr zu! Draußen hatte sich auch schon tiefste Dunkelheit ausgebreitet und als einzige bzw. letzte Gäste im Restaurant um die Ecke erwartete uns ein riesenlanger Tisch, ein 3-Gänge-Menü unserer Wahl und eine einsame Tibeterin, die uns dann „sprachlos“ aber dafür stets lächelnd bediente.

Zurück im Hotel war natürlich Duschen angesagt und das betraf nicht nur uns beide, sondern auch die stinkenden Gepäckstücke, die nach dreimaligem Einseifen und Abduschen nun drei Nächte Zeit zum Trocknen hatten. Einige Klamotten, die wir ganz oben in unserem nagelneuen Samsonite transportiert hatten und die auch das Pech hatten, nach Fisch zu dufteten, schickten wir kurzerhand in die Hotelwäscherei.

TAG 2

Die Nacht war kurz und das Frühstück am anderen Tag gewöhnungsbedürftig, denn das Buffet in diesem 4-Sterne-Hotel war nicht in dem von uns zwischenzeitlich bekannten chinesischen Stil. Eigentlich logisch, wir befanden uns schließlich im autonomen Tibet! Wir ignorierten die überwiegend warmen, für uns Europäer am Morgen seltsam riechenden Speisen und griffen zum Toastbrot. Doch das konnte mangels Toaster nicht geröstet werden und da der süßliche, kampferartige Geschmack absolut nicht mehr als eine Bissprobe zuließ, frohlockten wir regelrecht, als wir schöne hartgekochte Eier entdeckten. Das Service-Personal verstand kein Wörtchen Englisch und so hatten wir nach zahlreichen Versuchen in Worten, Gestik und Mimik nur die Wahl, entweder das kochendheiße Wasser aus Longdrink-Gläsern pur zu trinken oder den von uns ungeliebten Jasmin-Tee, im Beutel serviert, noch schnell reinzuhängen. Sehr praktisch war dann aber, dass man am Ausgang des Frühstückraumes kaltes Wasser in Flaschen kaufen konnte. Für unseren Flüssigkeitsbedarf hatten wir damit jedenfalls vorgesorgt und so konnte pünktlich gestartet werden. Unser Guide nebst Fahrer erwartete uns schon im Foyer.

Aber komisch, alles lief ab wie in einem Film! Irgendwie standen oder saßen wir neben uns und fühlten, dass etwas mit uns nicht stimmen konnte. Aber was nur? Für großartiges Grübeln blieb keine Zeit, denn nun stand der Besuch des weltberühmten Potala-Palastes auf dem Programm. Durch seine dominante Lage auf dem höchsten Punkt der Stadt, dem roten Marpori-Hügel, zog er uns schon von weitem in seinen Bann. An Gebetsmühlen vorbei kämpften wir uns mühsam über 400 Stufen hoch zum Haupteingang des größten, höchstgelegenen Baukomplexes auf Erden. Er hat 13 Geschosse, ist 117 m hoch, fast 400 m breit und umfasst 1000 oder nur 999 Räume?! Unser Guide musste immer wieder mit seinen Erläuterungen auf uns warten und oben endlich angekommen, waren wir um 10.00 Uhr morgens schon total geschafft! Wir schleppten uns durch alle dem Publikum offenstehenden Räumlichkeiten und bestaunten das Übermaß an Schätzen und Reichtum. Unzählige Buddhas, Statuen und Reliquien starrten uns mehr oder weniger gütig an und unser Guide versuchte uns mit leiser Stimme in englischer Sprache, abseits vom Gedränge, die kulturellen und religiösen Hintergründe zu vermitteln. Viele tibetische Besucher brachten ihren „Heiligen“ Opfergaben in Form von Geldscheinen mit und die zahlreich flackernden Butterlampen nebst ihren Gerüchen unterstrichen die mystische Atmosphäre.

Da im Inneren des „Heiligtums“ nicht fotografiert werden durfte, versuchten wir so viel wie möglich Eindrücke von außen im Bild festzuhalten. Aber es fiel uns immer schwerer, die Kamera ruhig zu halten. Machten uns etwa körperliche Anstrengungen zu schaffen? (Nein, so alt waren wir nun doch auch wieder nicht!) Oder lag es gar an der übermäßigen geistigen Konzentration auf die in Englisch geführten Konversationen mit unserem Guide? (Ein deutschsprachiger Führer – wie in Aussicht gestellt – wäre doch gerade in Tibet viel besser gewesen?  Aber nein, ein Lama bleibt ein Lama und ein Stupa ein Stupa, egal in welcher Sprache!) Unser Guide, den wir zwischenzeitlich Mister Tenzin nennen durften, nahm uns aber die Bedenken. Er stellte schlicht und überzeugend fest: „Ihr schlechtes Befinden liegt an der Höhenlage. Sie befinden sich schließlich auf 3.650 m Höhe und die Akklimatisation braucht ihre Zeit!“ Und dann teilte er uns mit – als könnte er Gedanken lesen: “Es klappt vielleicht doch noch, dass Sie einen deutschsprachigen Guide bekommen können. Ich kann vielleicht mit einer anderen Gruppe tauschen. Wäre Ihnen das noch recht für die Zeit nach Lhasa?“ Natürlich wäre das recht!? Obwohl, Mister Tenzin wurde uns immer sympathischer mit seinem besten Oxford-Englisch und seinen geradezu englischen Manieren, oder waren es tibetische?

Nach der Mittagspause stand das „Allerheiligste“ der Tibeter auf unserer Liste: Besichtigung des Jokhang-Tempels und damit verbunden auch der Barkhor, eine Ringstraße um den Jokhang, welcher den Pilgern als „rituelle Umrundungsstrecke“ dient. Der Jokhang-Tempel, welcher tibetische, indische, nepalesische sowie Han-chinesische Baustile vereint, umfasst eine Fläche von 25.100 m²  und die Begehung stellte eine neue Herausforderung körperlicher Art an uns. Allerdings mehr an meine Ehehälfte als an mich und so zeigte sich auf dieser Reise erneut, dass „man“ nicht immer stärker ist als Frau! (Mit „erneut“ ist der kleine Überfall am Li-Fluss gemeint. Dort hatte ich auch die Nerven behalten und war erfolgreich einem Taschendieb nachgerannt und die Situation bzw. das Portmonee war gerettet!) Nach zig-1000 Statuen, Buddhas, Reliquien, Kapitellen, Leitertreppen, Weihrauchwasser und Butterlämpchen schleppte ich ganz brav meine immer mehr schwächelnde bessere Hälfte, abgestützt auf meiner linken Schulter, über den Barkhor-Ring in eine Teestube zum Genuss eines hóng chá (black tea) und anschließend auf eine Ruhepause ins Hotel.

Da unser Guide nun wusste, was uns gut tat, ging es am Abend zum Essen in ein Frischluft-Dachterrassen-Restaurant in der Altstadt. Hier wurde uns Ausblick in die Natur, Einblick in die Kultur und Draufsicht auf das Marktgeschehen nebst dortigem Einsatz der überall anzutreffenden chinesischen Soldaten geboten. Während sich die Abendsonne rasch verabschiedete, genossen wir ein Tomatensüppchen und später unsere Hotelbetten.

TAG 3

Der Dienstag in Lhasa verlief ähnlich wie der Montag, nur mit dem kleinen Unterschied beim Frühstück, dass unsere mitgebrachten Schwarztee-Beutelchen vom Service-Personal zwar mit vielmals dankendem Lächeln entgegengenommen wurden, aber uns nie wieder sahen. Das war zu verschmerzen, denn wir wussten ja, wo es schönes, kühles Wasser gibt.

Auf unserem Programm stand für den Vormittag das westlich von Lhasa an einen Steilhang eingebettete Drepung-Kloster, welches ursprünglicher Sitz der Dalai Lamas war. Es ist das größte Kloster Tibets und wurde bereits im 15. Jahrhundert vom Gelbmützen-Orden gegründet. Als politisches Zentrum wurde es öfters von Mongolen zerstört oder angezündet. Es hatte vier Schulen und in seiner „Hochzeit“ konnten dort 10.000 Mönche leben. Im 19. Jh. erlangte es einen schlechten Ruf, da es in Festzeiten angeblich zu chaotischen Ausschweifungen kam. Während der Kulturrevolution wurden Teile der riesigen Anlage ebenfalls zerstört und heute steht es unter Denkmalschutz. Der Weg nach oben war wieder mühsam und bei jedem Schritt spürte man, dass die Luft dünner wurde. Aber es ist ja auch ein Pilgerweg! Er führte vorbei an Gebetsfahnen und Buddha-Malereien auf Felsblöcken und herrliche Ausblicke waren ein guter Lohn für unsere Anstrengungen. In den frühen Morgenstunden waren noch nicht viele Pilger unterwegs, nur eine Katze begegnete uns auf dem Gebetsmühlen-Pfad und schickte unsere Gedanken in die ferne Heimat bzw. stellte uns indirekt die Frage: Wessen einsame Reinkarnation lief uns hier gerade über den Weg?

Wir besichtigten von innen Schulen, Lehr-, Versammlungsräume und –hallen (die größte hatte 180 tragende Säulen!), sahen Buddhas und Bodishattvas in allen Dimensionen und Geschlechtern und am Ausgang wussten wir, bedingt durch die „tibetisch-englisch-deutsche Sprachübersetzungskette“, nicht mehr, ob wir real oder surreal nun im Nirwana sind und ob auch ein Schaf pilgern kann?

Am frühen Nachmittag besuchten wir die Sommerresidenz der Dalai Lamas, den Norbulinka, welcher aus einer großen Palast- und Parkanlage besteht und auch zum Weltkulturerbe zählt. Im Gegensatz zum Potala, dem Winterpalast, bot sie den Oberhäuptern des Lamaismus mehr Bewegungsraum im Freien und im Grünen. Im Sommerpalast des 14. Dalai Lama, welcher 1954 für den damals 19jährigen erbaut worden war, durften wir sämtliche Räume sehen. Sie waren noch im Zustand des geschichtsträchtigen Monats März 1959, als der „Gottkönig“ aus seinem „Edelsteingarten“ über Shigatse nach Indien fliehen musste. Schön, dass es auch Gärten und einen weitläufigen Park gab! Bei einer Tageshitze um die 30 Grad spendeten uns die alten, teilweise alleenartig angelegten Bäume angenehmen Schatten und dass in früheren Zeiten hier Mönche gärtnerisch tätig oder lustwandelnd zugange waren, konnte man sich bestens vorstellen (… und mit vorhandenem Sauerstoffdefizit gelang uns dies besonders gut!).

An diesem Abend erkletterten wir unser Frischluft-Dachterrassen-Restaurant etwas lockerer, denn die Treppe nach oben, die mehr eine Leiter war, schien stabil zu sein.

Mr. Tenzin erwartete uns bereits in Begleitung. Ach richtig, er wollte uns ja unseren neuen Guide für die kommenden Tage vorstellen! Und der neue Guide war eine junge Sie!!! Nebst einer kleinen Verbeugung begrüßte sie uns ganz bedächtig mit: „Gutten Tag! Ich haiße Sighi und so köhnen Sie mich auch haißen!“ Zügig erklärte uns dann Mr. Tenzin kurz den Tausch: Er übernimmt von ihr eine größere Gruppe mit 12 Personen aus Deutschland. Selbstverständlich nur, wenn wir einverstanden sind. Natürlich waren wir das gerne, es gab doch hier kein Problem? Oder doch? Wir sahen jedenfalls noch keines, zumal ab heute abend das Mr.-Tenzin-Verbot „no alcoholics“ in Sachen Akklimatisation sein Ende fand. Mit einem Süppchen und einem Gläschen Bier, das praktisch unser flüssiges Brot wird, stoßen wir an: Gan bäi!“ (Witzigerweise heißt das übersetzt: Glas leer!) Später hieß es Abschied nehmen von Mr. Tenzin mit einem diskreten monetären Dankeschön und Sighi lernte schon einmal unsere Vornamen. Wegen der Zungenbrecher in unseren Namen boten wir ihr diese in abgekürzter Form an, also einfach Eddi und Maggi. Den Rückweg durften wir heute alleine antreten und so schlenderten (oder schleppte ich Eddi schon wieder?) wir noch ein Stück über den Barkhor. Obst- und Gemüsehändler boten dort am Rande noch ihre Waren an. Wir kauften noch etwas obstigen Proviant für die morgen startende Landtour ein und wunderten uns über die vielen Gesichter mit Mundschutz. Ja, was sollte das denn? Die Schweinegrippe war doch ausgewandert und „grassierte“ gerade in Europa!

Nach der Vorbereitung unserer Gepäckstücke für die morgige Reise, entschlossen wir uns im Hotel noch schnell für eine kleine „Desinfizierung“. Es gab ja in der obersten Etage eine große Bar, die wir noch nicht gesehen hatten. Aber es war nicht zu fassen, dort freute man sich zwar sehr über unseren Besuch, aber keiner wollte unsere Bestellung entgegen nehmen. Das Geheimnis lüftete sich schnell, keiner konnte Englisch sprechen, auch die Getränkekarte nicht! No problem! Eddi zeigte dem Kellner an der Bar letztendlich das Getränk aus der gewünschten Flasche und mit dem chinesischen Handzeichen: Kleiner Finger + Ringfinger, die chinesische Zwei und damit glaubte er, es sei alles paletti! Natürlich kam der Whisky, allerdings nur in einem Glas und dafür eben als doppelter! Da auch obligatorisch an jedem Tisch Jasmin-Tee gereicht wurde, blieben wir bei einem Glas für Zwei, denn man soll mit dem Alkohol ja nicht gleich übertreiben!

TAG 4

Da es an diesem Mittwoch noch früher los ging, bereiteten wir uns kurzerhand unseren Black-Tea auf dem Zimmer selbst zu. Damit war für heute die Gefahr gebannt, dass unsere Teebeutelchen freundlich lächelnd im Frühstücks-Nirwana der Hotelküche verschwanden. Sighi empfing uns pünktlich und herzlich mit einem: „Gutten Morgen!“ Eddi und Maggi ließ sie aber weg, es war ihr noch nicht geläufig. Die Stimmung bei unserem Fahrer war auch sehr gut, denn er versuchte ebenfalls „Kutte Morge!“ zu sagen. Nur Eddi war nicht so fröhlich, denn das Problem Höhenkrankheit war zurückgekehrt. Ach du liebe Güte, konnte ich da nur sagen, denn der Tourabschnitt von Lhasa nach Gyantse ging über den Khampa La und Karo La mit an die 4.800 bzw. über 5.000 m Passhöhe.

Bevor wir den Tsangpo überquerten, stoppten wir am Kychu, Gebetsfahnen machten auf eine Stelle aufmerksam, an welcher Wasserbestattungen stattfinden. Damit waren wir bei einem Thema, das uns besonders interessierte und Sighi hatte ihren ersten Erklärungseinsatz. Etwas holperig machte sie uns verständlich, dass dies eine der fünf Bestattungsarten in Tibet ist. Wasserbestattet würden in der Regel nur Arme, also Bettler, Mittellose, Kleinkinder oder Verstorbene ohne Angehörige. Ihre Leichen würden zerstückelt und mit Steinen beschwert in den Fluss geworfen.

Selbstverständlich wollten wir nun auch etwas über die anderen vier Arten hören und so erfuhren wir zunächst etwas über die gängigste, also „normale Art“, die Luftbestattung: „Der Tote wird an eine einsame Stelle (meist verbunden mit einer Geländeerhöhung) gebracht. Mit einem Messer erhält er ein buddhistisches Symbol auf den Rücken und dann wird er in Kleinteile zerstückelt. Zum Schluss werden Wacholderzweige entzündet und damit die Geier auf das „Leichenfeld“ gelockt.“

Wie Sighi weiter ausführte, gingen diese beiden Bestattungsformen darauf zurück, dass der Boden meist gefroren ist und außerdem die Religion es nicht zulässt, dass die Erde aufgebrochen wird. „Warum?“ fragen wir beide gleichzeitig. „Weil sonst die Erdgeister gestört werden!“ „Aha“, resümierten wir, „ein Wurm oder ein Käfer könnte ja die verstorbene Oma oder sonst ein Anverwandter sein!“ „Richtig! Aber trotz allem gibt es auch die Erdbestattung. Sie wird gemacht für in Unehre Verstorbene wie Mörder, Diebe, Seuchenopfer…“

Unsere Weiterfahrt in immer höhere, immer einsamer werdende Lagen stimmte uns nach diesem Thema nachdenklich. Die unkultivierte Landschaft mit der dazu unpassend neu gebauten, relativ breiten Straße, war geradezu dafür prädestiniert, mit offenen Augen ungestört zu träumen. Wenige Fahrzeuge waren unterwegs und ebenso wenig Menschen waren zu sehen. Dafür aber umso mehr Schafe, Schafe, Schafe…Mäh, mäh, mäh…

Die Luft wurde immer dünner und Eddi immer „kränker“. Wasser trinken allein half ihm nicht, seine Höhenkrankheit zu verscheuchen und auch nicht meine aufmunternden Worte, dass unter den Schafen vielleicht sich einer seiner Vorfahren befinden könnte. Doch der plötzliche Anblick der ersten weißen Gebirgskette der sieben- und achttausend Meter hohen Schneeriesen gab ihm genügend Antrieb, wenigstens für seine Nachwelt noch schnell ein paar Fotos zu schießen, zumal wir auf dem Pass des 4.794 hohen Khampa La angekommen waren.

Wenig später bescherte uns die Route nach Gyantse einen weiteren märchenhaften und eindrucksstarken Ausblick. Wir blickten auf den 180 km² großen, auf  4482 m hoch gelegenen Yamdok Yutsho, einen türkisfarben strahlenden See! Eine Göttin soll dem drittgrößten See auf der Hochebene diese außergewöhnliche Form gegeben haben. Wegen seiner vielen Verzweigungen sehen die Tibeter in ihm einen Skorpion!

Vereinzelt lagen auf unserer Strecke kleine, bescheidene Ansiedlungen mit großen Entfernungen bis zum nächsten Dorf. Die Häuser der einfachen Leute sind meist 1-geschossig und durch einen Mauervorhof geschützt. Die Außenwände bestehen aus luftgetrockneten Ziegeln, die in der Regel weiß getüncht werden. Und wie uns Sighi sagte, ist innen der Fußboden aus naturbelassenem, gestampftem Lehm und mit auf den Dächern getrocknetem Yak-Dung und Reisigholz wird in der kalten Jahreszeit geheizt.

Aber der Yamdok Yuthso lies uns nicht los! An einem der vielen Ausläufer („Schere, Fuß- oder Schwanzteil des Skorpions“?) fanden wir Bauern mit ihren geschmückten Yaks, welche sich für Fotos zur Verfügung stellen und damit ihre Familienkasse aufbessern.

Am 5050 m hohen Karo La-Pass mit den Gletscherausläufern des heiligen Nöjin Kangsa, der den Namen einer Art von „Reichtums-Gott“ trägt, machten Gebetsfahnen auf den heiligen Sitz aufmerksam. Und weil Sighi uns mitteilte: „Wer ein Stück Stein dieses Berges berührt, dem soll es künftig an Reichtum nicht fehlen“, legten wir ein kleines Päuschen ein. Welche Art Reichtum das sein sollte, konnte sie uns aber nicht sagen und so haben wir nach dem Alphabet geraten: Reich an Geld, Gesundheit, Kinder, Wasser…?

Die Quellflüsse aus diesem Hochgebirge hatten tiefe Schluchten und Täler in die Landschaft gerissen und diese geschützten und wasserführenden Lagen bieten den Nomaden und ihren Viehherden ein Auskommen. Obwohl wir in der „Almenregion“ Lumarthang (spärlich an Gras, reich an Steinen!!!) weit und breit kein Haus, keine Hütte oder Yurte mehr entdecken konnten, kreuzten plötzlich Nomaden mit ihren Yaks- und Schafherden unseren Weg. Zwei der Viehhüter durften wir sogar fotografieren, da sie genau so neugierig waren wie wir!

Als wir dann eine weitere Passhöhe, den Simi La, genommen hatten, lag (schon oder endlich?) Gyantse, unser heutiges Ziel vor uns und Eddi war sehr froh darüber. Ihm war es fürs erste schnurz egal, ob diese geschichtsträchtige Stadt einmal Zufluchtsort oder Durchgangsstation vom Dalai-Lama, Heinrich Harrer und sonst wem war. Er wusste nur, diese Stadt liegt mit 4070 m höher als Lhasa und ich brauche jetzt sofort eine Sauerstoffzufuhr!!!

Im Gyantse-Hotel kümmerte sich Sighi auch gleich darum. Zu klären war nur noch, ob es ein Sauerstoff-Kopfkissen oder eine –Flasche sein sollte? Wir nahmen beides! Beim späteren Ausblick aus unserem Hotelzimmer auf die im Abendrot versinkenden Umrisse der Stadt stand dann für mich nur noch die Frage an: Wie geht es mit meiner besseren Ehehälfte weiter? Nirvana, Samsera oder morgen fit für einen Kumbum-Besuch?

TAG 5

Ein schöner Morgen brach an! Halleluja, alles war gut, Eddi war wieder erstarkt!!! Es konnte losgehen mit dem weltberühmten Kumbum! Doch vorher musste er wenigstens sein fotografisches Auge auf den Dzong, ein altes Fort aus dem Jahre 1365, werfen, denn diese Königsfeste prägt neben der riesigen Klosteranlage Pelkhor Chöde das Stadtbild.

Der 35 m hohe Kumbum, erbaut im Jahre 1440, ist ein tibetischer Stupa mit sechs Etagen, auf welchen sich jeweils nischenartige, kleine Kapellen befinden. Wie Sighi uns unterrichtete, umrunden die Gläubigen die Etagen im Uhrzeigersinn. Bei der rituellen, ehrfurchtsvollen Begehung würden sie eine Stufe der „Erleuchtung“ erlangen und ihr Bewusstsein würde „gereinigt“. Demzufolge begannen wir unsere Besichtigung rechtsdrehend. In den unteren Etagen befanden sich die niederen Gottheiten, in den oberen die höchsten Götter. Wie Sighi uns weiter lehrte, wird ein Stupa auch Chörten genannt und ist ein begehbarer Reliquienschrein oder 3-dimensionales Mandela. Und ganz besonders interessant war dann noch ihr Hinweis, dass Kumbum übersetzt 100.000 Bilder bedeutet, beinhalten aber würde er über 250.000 Darstellungen!!! Das war einfach der helle Wahnsinn! Und da wir nicht auch noch verrückt werden wollten, hatten wir es einfach unterlassen, mitzuzählen. Obwohl, es wäre wirklich interessant gewesen zu wissen, ob das alles stimmt!

Unsere Weiterfahrt nach Shigatse führte uns durch das sehr fruchtbare Nyangtal, das als die Kornkammer Tibets sehr bekannt ist. Das Korn, das hier in dieser Höhenlage noch gedeiht, ist die Gerste. Wir kamen gerade zum richtigen Zeitpunkt, denn so weit das Auge reichte, links und rechts der Straße wurde Gerste geerntet. Da eine Mühle am Straßenrand uns ganz spontan zu einer Stippvisite einlud, bekam Sighi die Gelegenheit, uns auch über Tsampa, die Haupternährung der im Bergland lebenden Tibeter, aufzuklären: Das geröstete Gerstenmehl wird einfach mit Yak-Butter und Tee verrührt und kann sowohl warm als auch kalt  – überall und jederzeit – verspeist werden!

Mit Shigatse, nach Lhasa die wichtigste Stadt Tibets, da das Tashilunpo-Kloster immer noch Sitz des Pänchen Lama, also des Stellvertreters des Dalai Lama, ist, erreichten wir einen weiteren Höhepunkt unserer Reise. Wir steuerten sofort die riesige Klosteranlage an, die nicht nur wie alle Klöster an einem Berg liegt, sondern auch die Ausmaße einer kleinen Stadt beansprucht. Man bräuchte Tage, um alles anzusehen! Deshalb konzentrierten wir uns bei diesem 1447 erbauten Gelbmützen-Kloster, in welchem bereits der 1. Dalai Lama „gekrönt“ wurde, auf die wesentlichen Sehenswürdigkeiten, insbesondere auf die „heiligen Räume“ des Lhakhang-Tempels, welche man über eine dreigeteilte Leiter erreicht. Die linken Leiterstufen dienen dem Aufgang, die rechten dem Abgang und der mittlere Teil war gesperrt, da diesen nur der „oberste Lama“ begehen darf. Dass man als Mann immer den rechten Fuß über eine Tempel-Schwelle setzen muss und als Frau immer den linken Fuß, wussten wir schon von unseren zahlreichen Tempelbesuchen. Wir machten das bereits instinktiv, denn wer möchte schon ein Unheil herbei beschwören, weil die Kräftewirkung der Gottheiten aus dem Fluss gekommen ist? Kräftewirkung der Gottheiten aus dem Fluss gekommen ist? In den heiligen Räumen des Komplexes konnte uns Sighi das Wichtigste nur flüsternd erklären, denn hier leben, studieren und arbeiten immerhin noch knapp 1000 Mönche und außerdem ist Vorsicht geboten, denn die Wände sollen Ohren haben! Gemäß der Svastika (das sind rechtsläufige Hakenkreuze wie sie die Gelbmützen benutzen) fand unsere Begehung im Uhrzeigersinne statt, allerdings mit „rechtsläufigen Abkürzungen“, denn diesmal wollten wir auch noch genügend Zeit haben für die vielen Annehmlichkeiten, die uns im Shigatse-Hotel erwarteten: Frisör, Fußreflexzonen- und Kopfmassage, ein schönes Büfett und natürlich auch ein kleines bisschen Sauerstoffnachschub!

TAG 6

Unsere Rückreise nach Lhasa über die nördliche Route entlang des Tsangpo, welcher im Süden über die Grenze nach Indien fließt und ab dort den Namen Brahmaputra trägt, entpuppte sich als sehr malerische Streckenführung: Die Sonne strahlte, der Himmel war stahlblau und das weiße Wolkenband über den 6000 m hohen Bergketten tanzte spiegelbildlich auf den Wellen des Tsangpo. Als ich fasziniert von diesen Landschaftsbildern ausrief: „Oh, das ist ja so schön wie an Weihnachten!“, fing Sighi plötzlich zu singen an. Wir trauten unseren Ohren nicht, als wir im schönsten Sopran hörten: „Oh du fröhliche, oh du selige…. ! Und wir vernahmen nicht nur alle drei Strophen in astreinem Deutsch von diesem Weihnachtslied, nein sie sang auch noch „Stille Nacht, heilige Nacht…“, dann „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum…“, „Ihr Kinderlein kommet…“ Natürlich sangen wir mit, aber es war eine Riesenblamage für uns, dass wir uns im Stillen eingestehen mussten, immer nur die erste Strophe ganz zu können und die anderen nur bruchstückhaft! Aber dank Sighi’s starkem Sopran fiel das gar nicht so sehr auf! Auch unser Fahrer war gut drauf und versuchte immer am Schluss einer Strophe mitzusingen mit einem in der Tonlage angepassten: „Jjo, Jjo!“ Sighi war nicht mehr zu bremsen und es war schon ein Oberhammer, als sie auch noch sang „Leise rieselt der Schnee, still und starr liegt der See…“! Nicht zu fassen, das alles lernte sie auf ihrem Goethe-Institut in Lhasa, weil ihr Lehrer davon überzeugt wäre, dass man singend besser deutsch lernt! Da muss was dran sein, denn singend verstanden wir Sighi besser!

Aber dann musste schlagartig unsere Singrunde abgebrochen werden, denn Sighi zeigte auf einen kleineren Berg, auf welchem eine Rauchwolke eine Luftbestattung signalisierte. „Eine Luftbestattung? Keine Feuerbestattung?“ fragen wir. „Nein, das ist nur eine Luftbestattung, denn bei einer Feuerbestattung wäre die Rauchwolke viel größer!“ erklärte uns Sighi und erinnerte uns an ihre früheren Ausführungen. Bei der Luftbestattung würden nur Wacholderzweige entzündet, bei der Feuerbestattung hingegen würde der Verstorbene verbrannt. Und diese Bestattungsart würde auch nur den Lamas, also spirituell vervollkommneten Menschen, zugestanden ebenso wie die fünfte Möglichkeit, nämlich die der Mumifizierung.

Eine idyllische Einsamkeit und Stille herrschte entlang des Tsangpo. Immer neue Bergketten tauchten auf und nur das Wasser und die Wolken reisten mit uns. „Und wenn auf Bergspitzen nur eine Wolke auftaucht, dann denken die Tibeter an einen ihrer Verstorbenen und erinnern sich an die Vergänglichkeit und Unbedeutsamkeit des Lebens!“ meldete sich Sighi zurück. „Jjo, Jjo,“ sagte zum Thema passend unser Fahrer und man hätte meinen können, er versteht plötzlich auch deutsch, aber damit sprach er hin und wieder nur unser schwäbisches „ja“ nach und deshalb hatten wir ihn auch schon längst Jo-Jo getauft. Gedankenlesen konnte er zwischenzeitlich auch ganz gut, denn immer wenn wir gerne ein Foto schießen wollten, hatte er schon eine Parkmöglichkeit dafür gefunden.

Die Straße war gut ausgebaut und erst 17 Jahre alt. Für tibetische Verhältnisse ist das eine Autobahn, obwohl sie links und rechts nur 1-spurig ist. Nach stundenlanger Fahrt trafen wir Kühe auf der Fahrbahn die uns rechtzeitig signalisierten: Achtung, ihr nähert euch einer Raststätte. Tatsächlich, es wurde dort ein Mittagstisch angeboten! Aber nachdem über dem Kücheneingang zur Lufttrocknung verschiedenartige Tierteile aufgehängt waren, bevorzugten wir einen schönen heißen Kaffee im Pappbecher.

Später, als es am Straßenrand immer belebter wurde, konnte man Obst frisch von den Feldern kaufen und die Äpfel oder Aprikosen an kleinen Wasserläufen waschen und die Füße gleich mit dazu. Stopps zur Kontrolle unserer Reise- und Routengenehmigungen sorgten für weitere Kurzweil und ebenso Jo-Jo mit seiner echt guten Tenor-Stimme. Wir bedauerten sehr, dass wir kein Tibetisch eingeübt hatten. Nur das „tschiö-tschiö“ für Dankeschön fiel uns leicht, da es ähnlich wie das chinesische „chiä-chiä“ klingt. Aber bei so vielen Eindrücken und neuen religiösen Begriffen wie Tantra, Mantra, Kapala, Mandala… (Schriften, Sprüche, Schädelschale, Scheibe) war das auch kein Wunder, denn im Alter wird ein Spatzenhirn nicht größer!

Allerbester Laune reisten wir mit den sich am strahlenden Firmament türmenden und im Wasser spiegelnden Wolken bis zum Lhasa-Airport, da wir dort noch unsere Koffergeschichte reklamieren sollten. Leider hatte die zuständige Kommissarin dort ganz, ganz schlechte Laune und wollte (oder konnte?) absolut nicht verstehen, dass es in Xi’an so stark und so stinkig regnen kann.

Im JIN GU HOTEL in Lhasa checkten wir wieder ein, verstauten ratz fatz unser Gepäck und dann ging es ab in die Altstadt. Sighi hatte schon bestens vorgesorgt und einen Tisch für uns in einem Garten-Restaurant reserviert, in einem früheren Kloster! Wir saßen im Garten direkt neben einem „allwissenden“ und hinter Glas geschützten Buddha. Gut gestärkt stürzten wir uns dann in unsere letzte Aktion, noch Nachtaufnahmen vom Potala-Palast zu ergattern. Dabei hätten wir es fast geschafft, im Gefängnis zu landen! Zum besseren Fotografieren hatten wir Drei uns auf den riesigen Platz des Friedens gekniet. Sofort, wie aus dem Boden gestampft, standen Polizisten da und forderten uns auf, schnell wieder in die Senkrechte zu gehen. Ja, wer hätte das denn gedacht, dass wir Drei eine Sitz-Demonstration anzetteln wollten! Aber Sighi rettete die Situation und dann „flohen“ wir mit einer Rikscha voll beladen in unsere Hotelbar. Schade, dass wir davon kein Foto mehr machen konnten, aber es war wie verhext, unsere Akkus waren leer!

Es freute uns, dass Sighi auch einen Drink benötigte, wir auf die einmalige Zeit mit ihr anstoßen und in Ruhe schon ein bisschen Abschied nehmen können, zumal es ja heute keine Probleme mehr mit der Bestellung geben dürfte. Wir hatten die Aufmerksamkeit des kompletten Bar-Personal, das sich entweder über unsere Wiederholungstäterschaft oder über unsere Begleitung sehr freute. Wir werden es wohl nie erfahren! Erfahren haben wir aber von Sighi in dieser Nacht noch einiges Interessantes aus ihrem Leben. Und so wissen wir, dass sie aus dem armen (rebellischen) Norden Tibet’s kommt und mehrere Geschwister hat.

Beim Thema Goethe-Institut und Deutschlernen wurde sie dann viel lockerer. Ja, sie wurde sogar so fröhlich, dass sie überhaupt nicht mehr stotterte bzw. Wortaussetzer hatte! Sie benutzte sogar das auch für viele Deutsche problematische „der-die-das“ richtig. Und dann wurde sie so locker, dass sie locker mal kurz ihren himmlisch blauen Abschiedsdrink (Blue Angel) umwarf. Aber zum Glück hatte die Bar ja noch einige von dieser Sorte auf Lager… Und als wir sie dann trösteten und sagten: „Wir haben es so kommen sehen, denn Du wärst sonst unsere erste Reiseleiterin auf dieser China-Tour gewesen, die das nicht geschafft hätte!“ Und dann erzählten wir ihr von Liu Si Ling mit dem übersetzten lustigen Namen „640“, die ihr Bierglas beim Abschied auf dem Flughafen von Guilin umgestürzt hatte!

TAG 7

Unsere letzte Fahrt mit Jo-Jo und Sighi zum weit außerhalb von Lhasa gelegenen Bahnhof der Quinghais-Tibet-Bahn begann pünktlich um 6.30 Uhr. Da Sighi wusste, dass in unserem Lunch-Paket vom Hotel sich keine hartgekochten Eier und Bananen befinden, überraschte sie uns mit diesem Zusatzproviant. Ja die Tibeter sind wirklich liebe und einfühlsame Menschen und wir bedauerten sehr, dass wir schon am Parkplatz, weit entfernt vom Bahnhofseingang Abschied nehmen mussten. Sighi lief noch ein Stück mit uns jenseits der Absperrmarkierung mit und ich sagte: „Ich drehe mich jetzt nicht mehr um, denn irgendwann werde ich mal wiederkommen und sei es vielleicht in Form einer Katze…“  Da musste auch Sighi lachen und das letzte Dankesdrücken unserer Hände bestätigte, dass es für uns alle eine wunderschöne Zeit war und sie mich verstanden hatte.

Dann werden wir mehrmals „gecheckt“. Es gab keine Einwände, Permit und Gesundheitsbestätigung waren o.k.! Obwohl im holzbankausgestatteten Wartesaal noch viel Platz war, mussten wir uns in die 1. Klasse umsetzen lassen. Punkt 8.30 Uhr setzte sich unser Zug in Bewegung. Und welch Freude nach diesem traurigen Abschied, es hatte geklappt, dass wir das bestellte  4er-Abteil Nr. 05, Plätze 9 bis 12 im „Softsleeper“ für uns alleine hatten, also keine Mitnutzer!

Bequem jeweils am Fenster blickten wir hinaus auf das Hochland Tibet’s mit Schafen und Yaks auf den über 4800 m hohen Weiden. Oh, was war das für eine Landschaft, diese Weite, alles war wie ein Traum! Doch zum Träumen kamen wir nicht, denn wir mussten ja alles im Bild schnell festhalten und der Zug nahm keine Rücksicht auf das eine oder andere „handicap“. Die Kunlun-Gebirgskette ist zum Glück 3000 km lang, aber sie teilt sich auf in das östlich gelegene Marco-Polo- und das westlich gelegene Prschewalski-Gebirge. Sie winkten uns zu mit über 7000 m hohen Gipfeln und so waren wir laufend im Trab zwischen der linken und der rechten Fensterseite. So gut es ging fingen wir sie ein die Impressionen einer unvergesslichen Landschaft mit schnell wechselnden Wetterlagen: Sonne, Wolken, Nebel, Regen, Graupel, Schnee…!!!

Seit nun drei Jahren (8/2006) kann man die höchstgelegene und längste Eisenbahnstrecke der Welt, eine technische und bauliche „Meisterleistung hoch³“ befahren. An der 1142 km langen Bahnlücke zwischen Lhasa und Golmud baute man 5 Jahre. Der Bau soll in diesem unwegsamen Gebiet 3,3 Milliarden Euro verschlungen haben. Allein die Überbauung des Permafrostbodens über eine Strecke von fast 550 km mit speziellen Kühlstabrohren, damit der Boden nicht auftauen kann, ist einmalig. Bedingt durch diese Bodenbeschaffenheit kann der Zug statt 120 km/h an diesen Stellen nur 100 km/h schnell fahren.

Irgendwann und irgendwo nach der Tanggula-Passhöhe mit über 5072 m Höhe hatten wir dann das Autonome Gebiet Tibet verlassen und damit endet an dieser Stelle auch unser Reisebericht, obwohl wir anschließend noch eine sehr schöne und erlebnisreiche Zeit in China verbracht haben.

Allerdings möchten wir am Schluss nicht unerwähnt lassen, dass wir auf dieser 36 Stunden und 3000 km langen Strecke bis Xi’an keinerlei gesundheitliche Probleme  hatten, da in die Wagen eine Sauerstoffversorgung eingebaut ist! Und für den Fall, dass unser Reisebericht ansteckend wirkt, hier noch ein praktischer Tipp für Fotografen:  Auch wenn Sie Nicht-Schwabe sind, ist es ratsam, zwecks klarer Durchsicht die Zug-Fenster innen und außen zu putzen. Da man wegen der Sauerstoffversorgung im Zug die Fenster nicht aufmachen kann, gleich zu Beginn an eine Außenreinigung denken! Uns ist diese Außenreinigung leider erst in Lanzhou gelungen und nun müssen unser Bilder etwas darunter leiden! Aber so ist es halt mal im Leben, man kann nicht immer an alles denken…

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