Jeder, der nach Tai’an reist, will in erster Linie auf den heiligen Berg Taishan. Hier geht es jedoch um die zweitwichtigste Sehenswürdigkeit dieser alten Stadt: den riesigen Dai Miao Tempel. Mindestens ebenso beeindruckend wie die Anlage selbst – sie misst vom Süd- zum Nordtor rund 400 Meter – ist der Wandel, den sie in den letzten Jahren erlebt hat. 1998 war ich zum ersten Mal dort. Der Tempel wirkte stark vernachlässigt, renovierungsbedürftig und im Verfall begriffen. Außer mir, waren vielleicht noch eine Hand voll anderer Gäste im Tempel. Nichtsdestoweniger war ich seinerzeit sehr beeindruckt von der Aura dieses Ortes und der Ruhe, die von ihm ausging. 2009 war ich erneut im Dai Miao – und es war fast so, als wäre ich nie zuvor an diesem Ort gewesen.
Nicht nur, dass es sehr viel lebhafter im Tempel zu ging, weil sich der Dai Miao zahlreicher, meist Einheimischer, Besucher erfreuen konnte. Die Anlage selbst war verwandelt. Ganz offensichtlich wurden die (mittlerweile stark gestiegenen Eintrittsgelder) in erster Linie dazu verwendet, diesen geschichtsträchtigen Ort zu restaurieren. Der mordbide Charme war dadurch zwar verflogen, wurde aber durch eine wirklich schöne und sehr großzügige Anlage ersetzt.
Traditionell war der Dai Miao eine Zwischenstation für Pilger auf Ihrem Weg zum Gipfel des Taishan. Seine bereits auf das Jahr 1009 zurückgehende Haupthalle dürfte mehr als nur einen Kaiser und hohen Würdenträger gesehen haben. In einem Land, dessen Puls schneller und schneller schlägt, findet sich hier eine Oase der Ruhe und trotz aller Veränderungen auch der Kontinuität.
Außerhalb der Mauern hat sich Tai’an ähnlich verändert wie andere Städte Chinas. 1998 fand ich hier noch das klassische chinesische Kaufhaus vor dem mich meine Professoren an der Uni „gewarnt“ hatten: Die Waren wurden in unzugänglichen Glasvitrinen ausgestellt. Dahinert gelangweilte Verkäuferinnen, die – wenn sie keine Lust hatten, Kunden zu bedienen – gerne mal mit „mei you“ (gibt es nicht) antworteten. Und das obwohl die Ware gut in der Vitrine zu sehen war. Heute zählt auch in Tai’an der Umsatz. Schöner als Kaufhäuser sind aber die Erlebnisse auf den Nachtmärkten. Besonders der Markt am Ufer des Nai-Flusses ist zum empfehlen.
Sonst bietet Tai’an außer einer sehr unscheinbaren Kirche, die einst von deutschen Missionaren errichtet wurde, kaum erwähnenswertes. Aber dafür ist das nächste Weltkulturerbe nicht weit: In die Konfuziusstadt Qufu sind es nur etwa anderthalb Stunden Auto- bzw. Busfahrt. Eine Kombination, die unbedingt zu empfehlen ist!